Bremer Anzeiger

Von Steffi Urban BREMEN. Marion Kohlheim setzt behutsam einen Fuß vor den anderen. An ihrer rechten Hand führt sie Hund Charlie. Besser gesagt: Charlie führt sie. Der Blindenhund macht plötzlich Halt und zeigt seinem Frauchen damit an, dass sie vor einer Kante steht. Ohne den Flat-Retriever könnte sich die sehbehinderte Frau nicht derart sicher in der Hansestadt bewegen. Doch oft machen vermeintlich hilfsbereite Passanten dem eingespielten Duo die Fortbewegung schwer. Mit knappen Kommandos kommuniziert Marion Kohlheim mit ihrem vierbeinigen Freund und Helfer. „Bank bedeutet, dass Charlie eine Sitzgelegenheit suchen soll. Box heißt, er soll einen Briefkasten finden. Und Bord bedeutet, dass der Hund sie zur nächsten Bürgersteigkante führt“, nennt Kohlheim einige Beispiele, wie die Orientierung mittels Führhund funktioniert. Die Tiere würden mindestens neun Monate ausgebildet, um dann sozusagen den Dienst antreten zu können, berichtet Manfred Beckmann. Er ist der Vorsitzende der Fachgruppe für Führhundhalter beim Blinden- und Sehbehindertenverband in Bremen und weiß um die Probleme, die sich für Frauchen, Herrchen und Tier im Alltag ergeben können. „Denn auch wenn die Hunde ausgebildet sind. Sie bleiben Tiere, die sich auch ablenken lassen“, betont Beckmann. So komme es immer wieder vor, dass Passanten sich einfach dem Hund nähern, ihn streicheln wollen oder etwa aus Hilfbereitschaft zur Treppe oder zu einem Eingang locken. Das Problem: Die blinde Person bekommt dies nicht immer gleich mit und kann sich gar nicht so schnell umorientieren, kritisiert Kohlheim die falsche Hilfsbereitschaft. Das sei zwar gut gemeint, aber es störe im wahrsten Sinne des Wortes die Arbeit. Denn genau das sei es: Arbeit, die höchste Konzentration von Hund und Halter erfordere. Doch selbst ein Schild am Führgeschirr hält viele Menschen nicht ab, sich dem Tier zu nähern. „Einige füttern die Hunde sogar, ohne zu wissen, ob sie auf bestimmte Sachen allergisch reagieren“, so die blinde Frau. Das sei nicht nur gefährlich für das Tier, sondern könne auch finanziell schwer wiegen. 20 000 bis 25 000 Euro sei ein ausgebildeter Führhund wert, erläutert Beckmann. Er wünscht sich ebenso wie Marion Kohlheim von vermeintlich hilfsbereiten Passanten einen respektvolleren Umgang. Oft würden sie direkt auf der Straße kritisiert, weil es auch mal laut gegenüber dem Hund werden kann, wenn er einem Kommando nicht gehorcht. „Dabei ist das für uns, dramatisch ausgedrückt, überlebenswichtig, dass der Hund hört“ sagt Kohlheim und ergänzt: „Eltern schreien ihre Kinder doch auch mal an, wenn sie nicht hören“. Wenig Verständnis hat sie auch dafür, dass viele Menschen keine Distanz wahren: „Sehende werden doch auch nicht einfach angefasst, bei Kindern, Hunden und Blinden scheint das kein Tabu zu sein.“ Sehbehinderte und ihre Führhunde haben zunehmend Probleme mit vermeintlicher Hilfsbereitschaft.