Weserkurier

Mit dem Blindenführhund Phoebe findet die Hambergerin Saskia Schulten wieder sicher durch den Alltag und hat neuen Lebensmut gefasst- 16.09.2012 Blindes Vertrauen Das Glück hat einen Namen – Phoebe. Phoebe ist eine fast zweijährige Hundedame. Ein bisschen Labrador-Retriever, ein bisschen Golden Retriever.

 

Und – Phoebe ist ein Blindenführhund. Sie ist der neue Begleiter von Saskia Schulten. Mit der hübschen Hundedame kam auch das Glück zurück ins Leben der 31-jährigen Hambergerin.

 

© Sonja Sancken

Ein eingespieltes Trio: Hundetrainerin Sabine Handel (links) beobachtet Saskia Schulten beim Training mit Hündin Phoebe.

VON MICHAEL THURM

Landkreis Osterholz. Saskia Schulten, alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen (acht und neun Jahre alt) leidet am Usher-Syndrom – einer Hörsehbehinderung. Definiert wird das Usher-Syndrom durch früh einsetzende Innenohrschwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit von Geburt an und später einsetzenden Verlust des Sichtfeldes, verursacht durch Retinitis Pigmentosa, einer Netzhautdegeneration. "Es ist ein Gendefekt", erklärt Saskia Schulten.

Sie leidet am Usher-Typ 2. Bei diesem Typ wird eine konstant bleibende, aber hochgradige Schwerhörigkeit festgestellt und die beginnende Retinitis Pigmentosa setzt während der Pubertät ein.

"Ich war 15 Jahre alt, wollte meinen Mofa-Führerschein machen, da stellte man fest, dass ich noch ein Gesichtsfeld von 60 Grad habe", erzählt Saskia Schulten. Zum besseren Verständnis: Das beidäugige Gesichtsfeld des augengesunden Menschen ist etwa 180 Grad weit. Beim klassischen Verlauf der Retinitis Pigmentosa beginnt sich das Gesichtsfeld von den Außenzonen her einzuengen, bis nur ein kleiner Sehrest im Zentrum übrig bleibt, der so genannte Tunnelblick oder das Röhrengesichtsfeld. Bei Saskia Schulten ist der Sehbereich praktisch nur noch Stecknadelkopf groß. "In den letzten zwei Jahren ist es immer schlechter geworden, heute habe ich nur noch ein Gesichtsfeld von vier beziehungsweise fünf Grad", erzählt sie.

Die Folge: Saskia Schulten verkroch sich mehr und mehr, verlor ihre sozialen Kontakte, viele ihrer Freunde zogen sich zurück, wohl auch aus Unwissenheit.

"Ich habe mich nur noch so durchgeschlagen", erzählt die ausgebildete Bürokauffrau, die halbtags beim Abfallservice Osterholz (ASO) arbeitet.

Besonders schlimm ist für Saskia Schulten, die auch nachtblind ist, die dunkle Jahreszeit. "Ab vier Uhr habe ich mich überhaupt nicht mehr rausgetraut. In der Dunkelheit bin ich völlig orientierungslos." Die junge Frau verlor immer mehr die Lust am Leben.

Ende des vergangenen Jahres beschloss Saskia Schulten: So kann es nicht weitergehen, und sie absolvierte ein Mobilitätstraining mit dem weißen Stock. Das Training bezahlte die Krankenkasse, die 31-Jährige gilt gesetzlich als blind. Doch die Hoffnung, mit dem Stock wieder etwas mobiler zu werden, erfüllte sich nicht. "Ich bin mit dem Stock nicht zurecht gekommen", sagt sie. Immer wieder übte sie, gab nie auf, doch die Sicherheit wollte sich nicht einstellen. Die Hoffnung auf mehr Bewegungsfreiheit zerplatzte wie eine Seifenblase.

"In dieser Phase ging es mir auch psychisch nicht gut", gesteht sie. Doch sie stand erneut auf. "Ich stand vor der Wahl, entweder gehst du unter, oder du tust was!" Saskia Schulten tat was. Sie informierte sich über Blindenführhunde, die Ausbildung, die Kosten. Auch in diesem Fall erteilte ihr die Krankenkasse grünes Licht, schnell hielt sie das Rezept in der Hand.

Doch wo fand sie den passenden Hund? Wann immer es ihr möglich war, recherchierte sie im Internet. "Ich hatte mir die Suche einfacher vorgestellt", gibt sie zu. Doch in Norddeutschland sind Hundeschulen, die auch Blindenführhunde ausbilden, rar." In Hamburg hätte sich Saskia Schulten auf eine Warteliste setzen können. "Aber vier Jahre auf einen Hund warten, kann ich nicht."

Gegenseitiges Vertrauen ist wichtig

Die 31-Jährige wollte schon beinahe die Suche aufgegeben, da stieß sie auf die Homepage der Blindenführ- und Assistenzhundeschule Familiaris in Chemnitz. Das dortige Hundezentrum ist spezialisiert auf die Ausbildung von Blindenführhunden. Der Internetbesuch bei Familiaris sollte der Wendepunkt im Leben der Saskia Schulten bedeuten. "Ich habe sofort ein gutes Gefühl gehabt," erinnert sich die Hambergerin. Zumal dort auch ein schwarzer Labrador-Rüde namens Tom-Tom als Blindenführhund abgebildet war. "Den wollte ich sofort haben", lächelt sie.

Sie nahm Kontakt mit Sabine Handel auf, die in der Chemnitzer Hundeschule für die Blindenführhundausbildung zuständig ist. Die beiden Frauen verstanden sich auf Anhieb. Saskia Schulten überredete ihren Vater zu einer Fahrt nach Chemnitz – und traf dort auf Phoebe. An den ersten Kontakt mit der Hundedame erinnert sich Saskia besonders gern. "Ich stand außen am Zaun, Phoebe innen. Es war sozusagen Liebe auf den ersten Blick." Zwischen Phoebe , ausgesprochen wird sie "Fibi", und Saskia Schulten herrschte sofort tiefes Vertrauen. Eine Grundvoraussetzung für ein funktionierendes Miteinander. Die erfahrene Hundetrainerin Sabine Handel übernahm die gemeinsame Ausbildung der beiden. Dafür reiste sie nach Hambergen. "Phoebe ist komplett ausgebildet, aber der Hund muss sich auf Saskia einstellen, Saskia auf den Hund." Trotz ihrer jungen Jahre hat Phoebe bereits eine zehnmonatige Ausbildung als Blindenführhund hinter sich. "Phobe ist ein ausgezeichneter Blindenführhund", lobt Sabine Handel. Labrador und Golden Retriever sind heute die klassischen Rassen für diese Ausbildung, die rund 25000 Euro kostet. "Aber", sagt Sabine Handel, "nicht jeder Hund ist für diese Ausbildung geeignet." Der Hund kann zwar das Auge ersetzen, nicht aber das Denken." Gerade das Freizeitverhalten des Hundes entscheide oft über die Fähigkeit zur Ausbildung.

Phoebe hat diese Probe längst bestanden und beweist es in diesen Tagen täglich aufs Neue. Vier bis fünf Stunden haben Saskia Schulten, Sabine Handel und die treue Hundedame in den letzten zwei Wochen täglich trainiert.

Saskia Schulten musste vor allem lernen, dem Hund und dem Führbügel zu vertrauen. Mittlerweile herrscht Harmonie zwischen den beiden, funktioniert das Zusammenleben auch ohne die erfahrene Trainerin.

Phoebe begleitet Saskia Schulten bereits zum Arbeitsplatz beim Abfallservice Osterholz in Pennigbüttel, sie ist dort schnell zum Star avanciert. "Mein Arbeitgeber hatte überhaupt kein Problem damit, dass ich jetzt mit dem Hund komme", freut sich die 31-Jährige. Und bei den Kollegen holt sich die hübsche Hundedame regelmäßig ihre Streicheleinheiten ab.

So leicht die Integration der Hündin bei der ASO war, so problematisch war so mancher Restaurantbesuch, so mancher Einkauf im Supermarkt, beim Bäcker oder Fleischer. "Mit dem Hund können sie hier aber nicht rein", hörten Saskia Schulten und Sabine Handel oft. Die Trainerin musste dann immer wieder Aufklärungsarbeit leisten. "Die meisten Leute wissen nicht, dass ein Blindenführhund laut Gesetz ein Hilfsmittel ist, ähnlich wie der weiße Blindenstock", berichtet sie. "Auch wenn es vielen nicht passt, der Hund darf sehr wohl überall mit." "Diese Diskussionen sind oft sehr anstrengend für mich", gesteht Saskia Schulten. Sabine Handel sieht die 31-Jährige in einer Vorreiterrolle und als Aufklärerin. "Bei uns in Chemnitz sind diese Gespanne ganz normal. Aber hier müssen sich die Leute wohl erst noch daran gewöhnen", sagt sie und hofft auf Toleranz und steigende Akzeptanz in der Bevölkerung. "In Osterholz-Scharbock selbst klappt es schon ganz gut."

Sabine Handel ist nun erst einmal zurückgekehrt in ihre Heimat nach Sachsen.

Doch sie wird schon Anfang Oktober nach Hambergen zurückkehren. Dann müssen Phobie und Saskia Schulten die Gespannprüfung ablegen und beweisen, dass sie gemeinsam den Alltag bewältigen können. Nur wenn sie diese Prüfung bestehen, bezahlt die Krankenkasse auch den Hund.

Doch Saskia Schulten ist überzeugt, dass sie und Phoebe diese Prüfung bestehen. Mit Phoebe hat sie wieder ihre Lebenslust zurückgewonnen und ist wieder wagemutiger geworden. "In den neun Jahren, die ich jetzt hier lebe, war ich vielleicht dreimal in Bremen. Ich habe mich nicht mehr getraut. Aber mit Phobie traue ich mir das zu."

Zunächst wird sie aber regelmäßig die "Waldrand-Hundeschule" von Dagmar Cauda in Hambergen besuchen. Nicht um zu lernen, sondern aus Vergnügen.

Phobie ist ja nicht immer im Dienst, sie muss auch mal toben und spielen.

Frei nach Goethe: "Hier bin ich Hund, hier darf ichs sein", tobt die sonst so disziplinierte Hundedame nach Herzenslust durchs Gelände und mit anderen Vierbeinern. Doch auch für Saskia Schulten wirken diese Besuche wie Lebenselixier. "Hier komme ich unter Menschen und kann vielleicht auch neue Kontakte knüpfen", sagt sie hoffnungsfroh. In Hundetrainerin Sabine Handel hat sie schon eine neue Freundin gefunden – doch ihr ganzes Glück hat vier Pfoten.

 

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