Am Ladeneingang ist oft Schluss


Blinde Menschen dürfen mit ihren Hunden oft nicht Geschäfte, Praxen und Kinos betreten. Dabei gibt es nicht mal aus hygienischer Sicht Bedenken. Zumindest nicht mehr als bei Menschen, die mit dreckigen Schuhen durch einen Laden laufen.

 

Köln - Der Angestellten am Empfangstresen im Supermarkt ist die Ablehnung deutlich im Gesicht abzulesen. Mit einer Mischung aus Verunsicherung und Unbehagen blickt sie auf den Hund an der Seite der Frau, die gerade das Geschäft betritt und bei ihr höflich nachfragt, dass es doch sicher möglich sei, den Laden mit ihrem Helfer zu betreten. Der Angesprochenen ist anzusehen, wie sie gleich zur Ablehnung ausholt.

Christine Seiffert kann all das nicht sehen. Es reicht ihr auch, was sie jetzt zu hören kriegt. Dass „sie hier auf keinen Fall mit Hund reindarf“. Anweisung der Geschäftsleitung. Man könne ihr allenfalls bestimmte Artikel nach vorn bringen lassen. „Dabei wusste ich doch noch gar nicht genau, was ich brauchte. Ich wollte doch nur ein bisschen stöbern.“ Die 37-jährige Sozialarbeiterin, die aufgrund einer Tumorerkrankung nahezu vollständig erblindet ist, braucht dazu ohnehin menschliche Hilfe, die sie – wenn möglich – in Gestalt von Freunden mitbringt. Wenn sich in den Geschäften kein hilfsbereiter Mitarbeiter findet, der Zeit für sie hat. Labrador-Hündin Famy hat immer Zeit für sie. Seit fünf Jahren sind sie ein Gespann.

Auf das Kommando „Such Banane“ führt sie ihr Frauchen in ihr bekannten Märkten Richtung Bananen. Bei Tomate zu den Tomaten, weil ihr Frauchen dieses Verhalten mit Leckerchen belohnt hat. Zu beliebig vielen Lebensmitteln kann der Hund sie auf diese Weise führen. Ohne daran zu schnüffeln, wohlgemerkt. Schnüffeln – das ist nur eines der vielen Vorurteile, mit denen Blindenführhund-Halter zu kämpfen haben.

Vielen wird immer noch der Einlass verwehrt. In den Supermarkt, ins Kino, in die Oper. Mitten im toleranten Köln. Dabei gibt es aus hygienischer Sicht keinerlei Bedenken. Nicht mehr und nicht weniger als bei Menschen, die mit dreckigen Schuhen durch einen Laden laufen und Gemüse anfassen. Das kann man selbst in der Lebensmittelhygiene-Verordnung nachlesen. Danach steht dem Mitführen von Blindenführhunden im Lebensmitteleinzelhandel „nichts entgegen“.

„Lebensmittel müssen ohnehin gut verpackt oder hinter Glas geschützt werden, überall da, wo Menschen verkehren“, weiß Solveig Burauen. Die Inhaberin einer Hundeschule in Nippes trainiert nicht nur gewöhnliche Hunde, sondern bildet seit 2007 auch Blindenführhunde aus – und berichtet von Diskriminierungsfällen. Ob bei der neuen Hausärztin oder dem Bäcker um die Ecke. „Das ist für Führhundehalter oft ein Problem.“ Zwar könnten sie nach dem Behinderten-Gleichstellungsgesetz in öffentlichen Gebäuden auf Zutritt bestehen, sogar in Krankenhäusern. „Doch bei privaten Geschäften gilt am Ende das Recht des Hausbesitzers.“

Marisa Sommer, Blindenführhund-Beauftragte beim Blindenverein Köln, rät, den Dialog mit den Geschäftstreibenden zu suchen. „Von Rollstuhlfahrern wird schließlich auch nicht verlangt, ihr Hilfsmittel vor der Tür zu lassen.“ Bei untergebenem Personal, das den Zutritt verwehre, vermutet sie oft schlicht Unwissenheit und Angst, etwas falsch zu machen. Selbst in Krankenhäusern, in denen das Gleichstellungsrecht greift, heiße das noch lange nicht, dass es auch eingehalten werde. „Wenn ein Chefarzt eine ablehnende Anweisung gibt oder der Pförtner keine Ahnung hat, ist am Eingang für uns Schluss.“

Diese Auffassung, so NRW-Gesundheitsministerin Andrea Fischer, werde „auch von den für die Lebensmittelüberwachung zuständigen oberen Landesbehörden geteilt“. Doch immer noch irren viele unaufgeklärte private Geschäftseigentümer oder deren Mitarbeiter, wenn sie sagen, das sei nicht erlaubt.

Denn Blindenführhunde sind in ihrem Verhalten keinesfalls mit gewöhnlichen Hunden gleichzusetzen. Trotzdem wird blinden Menschen täglich die Teilnahme am Leben verwehrt. Einfache Schilder wie „Hunde verboten, ausgenommen Blindenführhunde“ könnten leicht Irritationen anderer Kunden ausräumen.

Auch Rose Jokic und ihre Hündin Kelly haben schlechte Erfahrungen gemacht: In einem Discounter im Souterrain einer Passage am Neumarkt wird sie aufgehalten. In einem anderen Laden wurde ihr bei Betreten gar mit der Polizei gedroht. Bei einer Ärztin wurde ihr der Zugang komplett verwehrt, in einer anderen Praxis vorgegeben, sich während ihrer Untersuchung um ihren Labrador zu kümmern. Stattdessen wurde der 20 000 Euro teure Hund unbeaufsichtigt vor der Tür angeleint. Das ärgert Jokic fast am meisten.

Wäre da nicht ihre verpatzte Verabredung am Rhein. In dem Strandclub, in dem andere entspannt ihr Feierabend-Kölsch mit Blick auf die untergehende Sonne genießen, muss die 33-jährige Ehrenfelderin erst langatmig am Eingang diskutieren, bevor ihr dann der Eintritt für die Dauer eines Getränks gewährt wird. Um sie dann zu bitten, das Gelände doch zu verlassen. „Ich muss mich ständig mit Geschäftsführern und Filialleitern auseinandersetzen“, berichtet die PR-Assistentin.

Für städtische Gebäude gilt generell, dass Blindenführhunde als notwendige Assistenz für blinde Menschen anerkannt sind – und Zugang haben. „Das gilt für Verwaltungsgebäude ebenso wie für Museen“, teilt die Behindertenbeauftragte der Stadt, Marita Reinecke, mit. Der Bundesbehindertenbeauftragte Hubert Hüppe schlage die Einführung eines Dokuments vor, mit dem Blinde die Berechtigung zum Mitführen eines Hundes belegen können.

Eine der Supermarkt-Ketten entschuldigte sich auf Nachfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Selbstverständlich können Kunden mit ihren Blindenführhunden in allen unseren Märkten einkaufen.“ Im geschilderten Fall handele es sich offensichtlich um ein Missverständnis, für das man sich entschuldige. „Wir nehmen den Hinweis zum Anlass, unsere Mitarbeiter entsprechend zu informieren.“

Der Strandclubbesitzer besteht dagegen weiter darauf, dass er schließlich selbst zwei Hunde habe und selbst diese nicht einlasse. „Weil sonst alle mit Hund reinwollen.“ Außerdem würden sich Familien mit Kindern, die im Sand spielen, beschweren.

Solche Sprüche wollen sich Christina Seiffert und Rose Jokic nicht länger bieten lassen. Sie unterstützen Vereine wie Lichtblicke, der sich ausschließlich der Förderung des Blindenführhundwesens verschrieben hat – und wollen kämpfen. Jokic: „Wir Blinde sind leider oft viel zu ruhig.“ Ihr Feierabendbier mit ihren Freunden, das wird sie in Zukunft woanders trinken.

Stoßen Blinde mit Führhunden im Einzelfall auf Schwierigkeiten, steht das Büro der Behindertenbeauftragten als Ombudsstelle helfend zur Seite, 02 21/2 21-2 90 98. Auch der Kölner Blindenverein (02 21/ 13 56 85) und der Verein Lichtblicke (0 68 97/9 39 28 30) helfen.

behindertenbeauftragte@stadt-koeln.de www.verein-lichtblicke.de.

 

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