Kinder erforschen die Welt der Blinden( Tagblatt Online, Schweiz)

 

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Elisabeth Berchtold zeigt den Kindern das Werkzeug, mit dem Blinde schreiben können. (Bild: Evi Biedermann)

Wie fühlt es sich an, blind zu sein? Die Schaffhauserin Elisabeth Berchtold, seit 13 Jahren blind, erzählte – und fünfzehn Schulkinder machten erstaunliche Erfahrungen.

EVI BIEDERMANN

FRAUENFELD. Die bunten Herbstwälder sehen, über Hindernisse hüpfen oder mit dem Ball spielen – das alles kann Elisabeth Berchtold nicht mehr. Die Schaffhauserin ist seit 13 Jahren blind. Sie kann aber lesen und schreiben, Kuchen backen, Zug fahren. Und sie hatte lange Zeit einen Führhund. Der Labrador war ihr ständiger Begleiter und treuester Freund. «Siro ersetzte mir die Augen und verhalf mir zu mehr Unabhängigkeit, die ich ohne seine Hilfe nicht hätte», sagt die blinde Frau.

Nach Siros Tod wartet Elisabeth Berchtold nun auf ihren zweiten Hund. Zarli, ein fünfmonatiger Appenzeller, ist noch in der Ausbildung. Bis er seine zukünftige Halterin vollauf führen, beschützen und durch den Alltag begleiten darf, muss der muntere Welpe noch viel lernen. Was alles dazugehört, erzählten am Dienstag in Frauenfeld die Junghundtrainerin Doris Meier und Elisabeth Berchtold. Mit dabei hatten sie den kleinen Zarli und Kaj, ein bereits pensionierter Blindenhund.

Stumme Kommunikation

Die beiden Frauen besuchen seit Jahren Schulklassen in der ganzen Schweiz und führen Kinder an den Alltag von Blinden und Führhunden heran. Die erste Erfahrung machten die Frauenfelder Kursteilnehmer schon bald. Als Elisabeth Berchtold ihnen eine Frage stellte, schnellten 15 Arme in die Höhe – vergeblich! «Ihr müsst mir die Antwort zurufen, Kinder. Ich kann euch nicht sehen», erklärte die blinde Frau ihren kleinen Gesprächspartnern nach kleiner Wartezeit.

Dann durfte Zarli vorführen, was er schon alles kann. In etwa zwei Jahren wird er fähig sein, Türen, Treppen oder freie Sitzplätze in Bus und Bahn zu finden, Zebrastreifen anzuzeigen und Hindernissen auszuweichen. Zudem muss Zarli 38 Hörzeichen und weitere Fernzeichen verstehen lernen und schliesslich auch noch eine 90minütige Prüfung bestehen, bevor er als Blindenhund zugelassen wird.

Enorme Ausbildungskosten

«Was glaubt ihr, was so eine Ausbildung kostet?», wollte Doris Meier von den Kindern wissen. «Etwa 2000 Franken», sagte ein Mädchen zaghaft. «Dafür bekommst du gerade mal zwei Säcke voll Futter», antwortete die Ausbilderin lachend; die Ausbildung eines Führhundes verschlingt rund 60 000 Franken. Nach diesen Informationen durften sich die Kinder spielerisch betätigen. Mit verbundenen Augen mussten sie ihre Schuhe finden, die sie zuvor alle auf einen Haufen gelegt hatten.

Anders als Zarli, der sich beim Suchen auf seinen Geruchssinn verlässt, folgten die Kinder ihrem Tastsinn. Auch die Blindenschrift konnten sie üben. Und dabei feststellen, dass mit nur sechs Punkten ein ganzes Buchstaben- und Zahlensystem bedient werden kann.